Seh' ich
Schwäne nordwärts fliegen . .
etzt weiß ich, was ich in Lappland gesucht
habe. Es ist ja gar kein mystischer, unerklär-
licher Drang der Seele gewesen. Ich brauche
nicht vor mir Angst zu haben. Es ist ja alles
gesund und natürlich. Ich habe mich an einer
fremden schweren Arbeit erprobt." Das klingt nach
Selbsterfahrung, wenn auch im Ton etwas
altbacken. Der dies 1932 schrieb, wird noch heute
von Pfadfindergruppen verehrt: Eberhard Koebel,
genannt tusk, der Deutsche, war Gründer der
dj.1.11, einer legendären Gruppe der bündischen
Jugend in der Weimarer Republik. Ihr Marken-
zeichen, das von tusk nach lappischem Vorbild
konstruierte Zelt, die Kohte, wird immer noch von
den Pfadfindern aufgeschlagen. Die von ihm
entworfenen dunkelblauen Jacken der dj.1.11 wur-
den vorn Jungvolk der Hilterjugend und nach dem
Krieg von Pfadfindergruppen übernommen.
Beeinflußt vom Lebensgefühl und Gedankengut
der dj.1.11 waren Widerstandskämpfer wie Helmut
Hirsch und Hans Scholl. Einstigen Mitstreitern
gilt Koebel geradezu als mythische Figur, aber
einer von ihnen schrieb ihm nach dem Zwei-
ten Weltkrieg: "Hast Du auch bedacht, wie viele
Jungen widerspruchslos und glühend den Zielen
des vergangenen Regimes gefolgt sind, weil sie
Dir nachlebten? Sind Deine Worte und Briefe
Zeugnisse eines gehetzten Gewissens? Wo liegen
sie alle, die besten der dj. 1. 11, in Rußland und im
Westen und in Afrika, wer hat sie so erzogen, daß
sie kalt und lachend in den Tod gingen?"
In seinem kurzen Leben hat der 1907 in Stutt-
gart geborene Eberhard Koebel viele deutsche
Karrieren durchlaufen. Aus gutbürgerlichen Ver-
hältnissen stammend - der Vater war Richter am
Oberlandesgericht Stuttgart -, wurde er ein früher
Bewunderer Adolf Hitlers, stieg in der zweiten
Hälfte der zwanziger Jahre zum Protagonisten der
bündischen Jugendbewegung auf, bekannte sich
1932 zur Kommunistischen Partei, emigrierte 1934
nach England, wurde von Erich Honecker nach
dem Krieg in die DDR geholt und geriet dort
prompt wieder ins Abseits. Ausgeschlossen aus der
SED, starb er verbittert mit nur 49 Jahren. Die
PDS rehabilitierte ihn 1990. Ein Opfer des
Stalinismus? Ein antifaschistischer Widerstands-
kämpfer? Ein Jugendbewegter, der seiner Zeit weit
voraus war? Ein geistiger Wegbereiter der Nazis?
Oder nur, wie der Potsdamer Historiker Michael
Buddrus meint, ein feiger Opportunist?
Eberhard Koebel war alles in einem.
Am 15. Mai 1925 erschien im Völkischen Beob-
achter der Aufruf eines Siebzehnjährigen: "So
trefft Euch denn deutsche Jungen unter den Fah-
nen jenes Mannes, der uns Ziel und Weg wies, un-
ter dem reinen klaren Banner Adolf Hitlers. Was
soll es denn, Vereinen und Bünden zu dienen,
Vereinsfahnen und Bundeswimpeln die Treue zu
schwören, da man doch dem Vaterlande leben, da
man doch dem Banner der deutschen Revolutio-
näre die Gefolgschaft leisten kann."
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Koebel hatte den Aufruf nach einem spontanen
Besuch bei Hitler in München geschrieben. Der
junge Mann verstand sich damals als Faschist in
Reserve, aber sein Engagement galt entgegen
seinem Aufruf nicht der braunen Partei, sondern
den Fahnen und Wimpeln. Seit 1922 gehörte
Koebel dem Deutschwandervogel an, einem der
zahlreichen Bünde in der Tradition der Wander-
vogelbewegung des Kaiserreichs. Gefragt waren
Gemeinschafts- und Naturerlebnisse der Jugendli-
chen bei Wanderungen und Fahrten, die ein ro-
mantisches Lebensgefühl förderten, das identitäts-
stiftend wirkte und somit die Jungen vom zumeist
bürgerlichen Elternhaus abgrenzte.
Politisch waren die jungen Bündischen aller-
dings in der Regel ebenso nationalistisch-konser-
vativ und antidemokratisch wie ihre Eltern. Koe-
bel berichtet, daß seine Gruppe 1924 eine
Aufführung von Dantons Tod in Stuttgart
sprengte. um gegen die nationale Schmach zu
protestieren, daß die Marseillaise auf einer
deutschen Bühne gesunden wurde.
Seit 1926 leitete der Graphikstudent zwei Grup-
pen des Deutschwandervogels und nannte sich Gauführer. Als sich ein Teil der zersplitterten
Bünde in diesem Jahr zum Deutschen Freischar-
Bund der Wandervögel und Pfadfinder zusam-
menschloß, führte Koebel seine beiden Stuttgarter
Gruppen dem neuen Dachverband zu. Die Frei-
schar galt im Vergleich zu anderen Bünden als po-
litisch gemäßigte was aber ihren Vertreter Koebel
nicht hinderte, ein internationales Pfadfinderlager
in Luxemburg unter Protest zu verlassen, weil dort
für die Deutschen die schwarzrotgoldene Flagge
der Republik gehißt worden war.
Im Sommer 1927 brach Koebel mit einer Frei-
schargruppe zur Großfahrt nach Schweden auf. Im
Jahr zuvor hatte der von Haus aus eher kränk-
liche Junge nach Abschluß der Oberrealschule be-
reits eine abenteuerliche fünfmonatige Fahrt mit
Freunden zur finnischen Eismeerküste unternom-
men. Diesmal blieb er nach der Reise allein als
Rentierhirte einige Monate bei einer Nomadenfa-
milie in Lappland. Von dem Aufenthalt brachte er
seinen neuen Namen tusk (schwedisch: Tysk) mit
und Erfahrungen als, wie er es nannte, Selbster-
ringender. Seine Erlebnisse schlugen sich in Rei-
seberichten, einem Raubvogelbuch und Liedern
nieder, so etwa in dem bekannten Über meiner
Heimat Frühling seh' ich Schwäne nordwärts
fliegen.
Koebel wurde jetzt in der Jugendbewegung
prominenter. Die von ihm entworfene blaue Jun-
genschaftsjacke ging 1928 bei einer renommier-
ten Stuttgarter Firma in Serienproduktion. Zwei Jahre
später begann der Siegeszug seiner Kohte
durch die Jugendbewegung, eines Zelts, in dessen
Mittelpunkt ein Feuer entzündet werden konnte.
Das Abenteuerliche, das tusk anhaftete, zog Ju-
gendliche an. Auch verfügte er über einen starken
missionarischen Drang, rhetorisches Talent und die
Fähigkeit, Symbole zu schaffen.
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