Tusk
Eberhard Koebel - tusk (1907-1955)

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T H E M E N D E R Z E I T DIE ZEIT Nr. 9 21. Februar 1997


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Das „denkMal“ der Jugendbewegung: Hitler-Fan, Bundführer,
WG-Gründer, Kommunist, Emigrant, Dissident /
Von Heidrun Holzbach-Linsenmaier

„Seh' ich Schwäne nordwärts fliegen . . “ capital J

etzt weiß ich, was ich in Lappland gesucht
habe. Es ist ja gar kein mystischer, unerklär-
licher Drang der Seele gewesen. Ich brauche
nicht vor mir Angst zu haben. Es ist ja alles
gesund und natürlich. Ich habe mich an einer
fremden schweren Arbeit erprobt." Das klingt nach
Selbsterfahrung, wenn auch im Ton etwas
altbacken. Der dies 1932 schrieb, wird noch heute
von Pfadfindergruppen verehrt: Eberhard Koebel,
genannt tusk, der Deutsche, war Gründer der
dj.1.11, einer legendären Gruppe der bündischen
Jugend in der Weimarer Republik. Ihr Marken-
zeichen, das von tusk nach lappischem Vorbild
konstruierte Zelt, die Kohte, wird immer noch von
den Pfadfindern aufgeschlagen. Die von ihm
entworfenen dunkelblauen Jacken der dj.1.11 wur-
den vorn Jungvolk der Hilterjugend und nach dem
Krieg von Pfadfindergruppen übernommen.
Beeinflußt vom Lebensgefühl und Gedankengut
der dj.1.11 waren Widerstandskämpfer wie Helmut
Hirsch und Hans Scholl. Einstigen Mitstreitern
gilt Koebel geradezu als mythische Figur, aber
einer von ihnen schrieb ihm nach dem Zwei-
ten Weltkrieg: "Hast Du auch bedacht, wie viele
Jungen widerspruchslos und glühend den Zielen
des vergangenen Regimes gefolgt sind, weil sie
Dir nachlebten? Sind Deine Worte und Briefe
Zeugnisse eines gehetzten Gewissens? Wo liegen
sie alle, die besten der dj. 1. 11, in Rußland und im
Westen und in Afrika, wer hat sie so erzogen, daß
sie kalt und lachend in den Tod gingen?"
In seinem kurzen Leben hat der 1907 in Stutt-
gart geborene Eberhard Koebel viele deutsche
Karrieren durchlaufen. Aus gutbürgerlichen Ver-
hältnissen stammend - der Vater war Richter am
Oberlandesgericht Stuttgart -, wurde er ein früher
Bewunderer Adolf Hitlers, stieg in der zweiten
Hälfte der zwanziger Jahre zum Protagonisten der
bündischen Jugendbewegung auf, bekannte sich
1932 zur Kommunistischen Partei, emigrierte 1934
nach England, wurde von Erich Honecker nach
dem Krieg in die DDR geholt und geriet dort
prompt wieder ins Abseits. Ausgeschlossen aus der
SED, starb er verbittert mit nur 49 Jahren. Die
PDS rehabilitierte ihn 1990. Ein Opfer des
Stalinismus? Ein antifaschistischer Widerstands-
kämpfer? Ein Jugendbewegter, der seiner Zeit weit
voraus war? Ein geistiger Wegbereiter der Nazis?
Oder nur, wie der Potsdamer Historiker Michael
Buddrus meint, ein feiger Opportunist?
Eberhard Koebel war alles in einem.
Am 15. Mai 1925 erschien im Völkischen Beob-
achter
der Aufruf eines Siebzehnjährigen: "So
trefft Euch denn deutsche Jungen unter den Fah-
nen jenes Mannes, der uns Ziel und Weg wies, un-
ter dem reinen klaren Banner Adolf Hitlers. Was
soll es denn, Vereinen und Bünden zu dienen,
Vereinsfahnen und Bundeswimpeln die Treue zu
schwören, da man doch dem Vaterlande leben, da
man doch dem Banner der deutschen Revolutio-
näre die Gefolgschaft leisten kann."



Koebel hatte den Aufruf nach einem spontanen
Besuch bei Hitler in München geschrieben. Der
junge Mann verstand sich damals als „Faschist in
Reserve“, aber sein Engagement galt entgegen
seinem Aufruf nicht der braunen Partei, sondern
denFahnen“ und „Wimpeln“. Seit 1922 gehörte
Koebel dem Deutschwandervogel an, einem der
zahlreichen Bünde in der Tradition der Wander-
vogelbewegung des Kaiserreichs. Gefragt waren
Gemeinschafts- und Naturerlebnisse der Jugendli-
chen bei Wanderungen und Fahrten, die ein ro-
mantisches Lebensgefühl förderten, das identitäts-
stiftend wirkte und somit die Jungen vom zumeist
bürgerlichen Elternhaus abgrenzte.

Politisch waren die jungen Bündischen aller-
dings in der Regel ebenso nationalistisch-konser-
vativ und antidemokratisch wie ihre Eltern. Koe-
bel berichtet, daß seine Gruppe 1924 eine
Aufführung von „Dantons Tod“ in Stuttgart
sprengte. um gegen die „nationale Schmach“ zu
protestieren, daß die „Marseillaise“ auf einer
deutschen Bühne gesunden wurde.

Seit 1926 leitete der Graphikstudent zwei Grup-
pen des Deutschwandervogels und nannte sich
„Gauführer“. Als sich ein Teil der zersplitterten
Bünde in diesem Jahr zum Deutschen Freischar-
Bund der Wandervögel und Pfadfinder zusam-
menschloß, führte Koebel seine beiden Stuttgarter
Gruppen dem neuen Dachverband zu. Die Frei-
schar galt im Vergleich zu anderen Bünden als po-
litisch gemäßigte was aber ihren Vertreter Koebel
nicht hinderte, ein internationales Pfadfinderlager
in Luxemburg unter Protest zu verlassen, weil dort
für die Deutschen die schwarzrotgoldene Flagge
der Republik gehißt worden war.

Im Sommer 1927 brach Koebel mit einer Frei-
schargruppe zur Großfahrt nach Schweden auf. Im
Jahr zuvor hatte der von Haus aus eher kränk-
liche Junge nach Abschluß der Oberrealschule be-
reits eine abenteuerliche fünfmonatige Fahrt mit
Freunden zur finnischen Eismeerküste unternom-
men. Diesmal blieb er nach der Reise allein als
Rentierhirte einige Monate bei einer Nomadenfa-
milie in Lappland. Von dem Aufenthalt brachte er
seinen neuen Namen tusk (schwedisch: Tysk) mit
und Erfahrungen als, wie er es nannte, „Selbster-
ringender“. Seine Erlebnisse schlugen sich in Rei-
seberichten, einem „Raubvogelbuch“ und Liedern
nieder, so etwa in dem bekannten „Über meiner
Heimat Frühling seh' ich Schwäne nordwärts
fliegen“.
Koebel wurde jetzt in der Jugendbewegung
prominenter. Die von ihm entworfene blaue „Jun-
genschaftsjacke“ ging 1928 bei einer renommier-
ten Stuttgarter Firma in Serienproduktion. Zwei Jahre
später begann der Siegeszug seiner Kohte
durch die Jugendbewegung, eines Zelts, in dessen
Mittelpunkt ein Feuer entzündet werden konnte.
Das Abenteuerliche, das tusk anhaftete, zog Ju-
gendliche an. Auch verfügte er über einen starken
missionarischen Drang, rhetorisches Talent und die
Fähigkeit, Symbole zu schaffen.


Langeoog, 1933
Vorbereitung auf das „Feldlager des Krieges“. dj. 1.11 auf Langeoog 1933

capital A
Is ihm die Bundesleitung eine wichtige
Führungsaufgabe verweigerte, gründete
er die „Deutsche Jungenschaft vom 1.
November 1929 (dj. 1. 11)“, einen elitä-
ren Bund, der als Initialzündung für eine neue Ju-
gendbewegung wirken sollte. Im Dezember 1929
schrieb er an die Mitglieder der dj. 1. 11: „Heute
sind wir eine Geheimgruppe. In 4 Monaten wer-
den wir der stärkste Faktor in der Freischar sein.
... In einem Jahr schon ist vielleicht die Hauptsa-
che geschafft. Dann werden wir den politischen
und religiösen Bünden die Jugend abnehmen,
werden eine Macht sein, mit der Staat,
Schule, Kirche einfach rechnen müssen.“
Einzelne Gruppen schlossen sich dem neuen
Bund an. Als die Mitglieder der dj. 1. 11 das Hals-
tuch der Freischar ablegen und statt dessen von
Koebel entworfene Rangabzeichen, verschieden-
farbige Kordeln, tragen mußten und er sich
schließlich selber zum Reichskreisleiter Süd der
Freischar ernannte, reichte es der Bundesführung:
Anfang Mai 1930 wurde tusk wegen „bundesschä-
digenden Verhaltens“ aus der Freischar ausge-
schlossen.

Im selben Jahr übersiedelte er nach Berlin, ar-
beitete dort für den Atlantis-Verlag und gestaltete
mehrere Zeitschriften, die er teilweise auch selber
herausgab. Auf diesem Weg, so urteilt der Leiter
des Archivs der deutschen Jugendbewegung, Wal-
ter Mogge, hat er „weite Teile der Jugendbewe-
gung“ geprägt. Was Koebel propagierte, war nichts
Originäres, sondern ein Sammelsurium unausgego-
rener Ideen und romantisierter Lebensbilder. Er
entwarf das Bild eines straffen Jungenschaftsor-
dens, dessen Anhänger ihrem Führer bedingungs-
los zu folgen hatten und auf abenteuerlichen Fahr-
ten und Treffen bürgerliche Normen durchbrechen
durften. In „Der gespannte Bogen“, für seine An-
hänger heute noch Kultbuch, klingt das so:

„Komm mit in Gedanken drei Jahre voraus und
begeistere dich mit mir an einem Abend einer
deutschen Jungenschaftsgruppe irgendwo in
einem strahlenden Raum. ... Sie sitzen da in der
Tracht der großen jungen Armee, an den Wänden
hängen Bilder ihrer Führer... Kein Bub ist nur
eine Minute nichts [!] . . . Und sie tanzen und to-
ben in ihren ernsten Uniformen, raufen, dekla-
mieren laut Gedichte. Dann sehen wir sie wie
Säulen, Atem und Herzschlag verbergend, in
einem Glied stehen und von ihrem Führer Be-
fehle erhalten, unbequeme, rücksichtslose Be-
fehle, die befolgt werden müssen.“
Koebel hatte die Jungenschaft autonom ge-
nannt, weil sie frei sein sollte „von jeder Ver-
pflichtung an eine Weltanschauung“. Tatsächlich
war sie von der pseudorevolutionären, antiratio-
nalistischen, auf Befehl und Gehorsam setzenden
Einstellung junger Nationalsozialisten nicht weit
entfernt. Was sie darüber hinaus verband, war ein
atemloser Aktivismus. Die Jugendlichen wurden
mit paramilitärischem Drill und mit Abenteuern
ständig in Hochspannung gehalten und so auch auf
das „Feldlager des Krieges“ vorbereitet. tusk
schrieb 1932: „Wie Springflut ist's in mir, wenn
ich den Gleichschritt der Jungen fühle, wenn ich
weiß: mit mir marschieren hunderte, tausende Sol-
daten des gleichen Ziels: deutsche Jungenschaft.
Es ist herrlich, Teil einer Macht zu sein.“
Während in der Wandervogelbewegung des
Kaiserreichs noch Schlapphüte und Jacken getra-
gen, Klampfe und Flöte gespielt wurden, domi-
nierten bei den Bündischen der Weimarer Repu-
blik zunehmend Uniformen, Trommeln, Pfeifen
und Fanfaren. Der Weltkrieg hatte die Jugend
brutalisiert und militarisiert. An den Schulen
wurde wie im Kaiserreich geprügelt, die vorherr-
schende politische Einstellung der Lehrer war na-
tionalistisch und antidemokratisch. Sekundärtu-
genden wie Gehorsam und Disziplin standen hoch
im Kurs. Die nüchterne Republik - in ihren An-
fängen untrennbar mit der Kriegsniederlage ver-
bunden - tat wenig, um junge Menschen für sich zu
begeistern.


Die bündische Jugend, in der Gesamtheit der
Jugendvereine an Zahl nur gering, gab gleichwohl
ideell den Ton an. Sie war nicht nur ihrem Selbst-
verständnis nach Elite, sie war es auch nach der
sozialen Herkunft: Hier tummelten sich die Söhne
des Bildungs- und Besitzbürgertums. Abgesehen
davon, daß die Hitlerjugend Parteijugend war,
verlief an dieser Stelle die entscheidende Trennli-
nie zwischen jungen Nazis und Bündischen.
Ganz bewußt setzte die NSDAP auf „Masse“.
War die bündische Jugend schöngeistig und reali-
tätsfern, wandte sich die Hitlerjugend den Alltags-
sorgen junger Menschen zu. Und die Suggestion,
die von dem aggressiven Antisemitismus ausging,
nämlich in der Wirklichkeit doch einer Elite, eben
einer rassischen, anzugehören, bot diesen Jugend-
lichen mit ihrem gestörten Selbstwertgefühl bes-
sere Kompensationen als die Ideologien der Bünde.

capital D

en bündischen Jugendlichen erging es
letztlich ebenso wie ihren Eltern, die
Führungspositionen in Staat, Wirt-
schaft und Militär besetzten: Ihnen
fehlten der soziale Unterbau, die Massen. Zudem
hatten die Nazis etwas, wonach sich die Bündi-
schen vergeblich sehnten: den einen Führer.
Koebel versuchte 1931/32 mit aller Kraft, noch
einmal die Idee der autonomen Jungenschaft mit
Leben zu füllen, diesmal aber als eine „Jungen-
front vom Gymnasium bis zur Fabrik“. Am 1. No-
vember 1931 gründete er eine der ersten Jugend-
wohngemeinschaften Berlins. „Die rotgraue Gar-
nison“, eine Achtzimmerwohnung in Berlin-
Kreuzberg, wurde zum Zentrum der dj. 1. 11.
Später folgten Wohngemeinschaften in anderen
Städten. In der Berliner WG war ein von tusk ge-
gründeter Verlag untergebracht, in dem alle WG-
Mitglieder arbeiteten. Sie teilten Geld, Verpfle-
gung und Hausarbeit. Streitereien sollten nach
Bedarf durch die „Garnisonsversammlung“ ge-
schlichtet werden. Die typischen Wohngemein-
schaftsprobleme, wie man sie seit 1968 kennt, gab
es offenkundig schon bei den disziplinierten Bün-
dischen, wie ein „Garnisonstagebuch“ belegt. Da
wird am 10. 12. 1931 ein WG-Mitglied kritisiert:
„Jägulle entpuppt sich als Privatmann. Wenn er
mit seiner Arbeit fertig ist, legt er sich ins Bett
und schläft.“ Zehn Tage später gehört Jägulle
nicht mehr zur „Garnison“, dafür ist das morgend-
liche Wecken „eine Quelle ständigen Ärgers“.
Ende Januar 1932 heißt es: „tusk wird auszie-
hen, weil er hier zuwenig arbeiten kann. Demnach
braucht man also doch Nerven, um hier zu leben.“
Tatsächlich zog Koebel wegen seiner Heirat aus.
Am 10. Mai liest man die verwirrende Mitteilung:
„Heute wieder Versammlung. Wir beschlossen, als
erste Instanz für alle Entscheidungen einen So-
wjet einzusetzen. Hitler wurde dazu gewählt.“ Na-
türlich handelte es sich nicht um Adolf Hitler,
sondern um ein WG-Mitglied dieses Namens.


Tatsächlich hätte Koebel mit seiner für viele
Bündische typischen Mischung aus Irrationalis-
mus, Rousseauscher Zivilisationskritik, homoero-
tischern Jugendkult, Abenteurertum, Militarismus
und spintisierender Weltfremdheit weitaus besser
zu jenen „linken Leuten von rechts“ um Otto
Straßer und seine „Schwarze Front“ gepaßt als zu
den Kommunisten. Ob er mit seinem Bekenntnis
zur KPD wirklich etwas gegen die Nazis unterneh-
men wollte, ist angesichts seines Verhaltens nach
dem 30. Januar 1933 eher zweifelhaft.
Bereits ein Jahr zuvor hatte er bei einer Lage-
besprechung der dj. 1. 11 erklärt, daß man sich nur
mit den drei Parteien auseinandersetzen solle, die
das Wirtschaftssystem ändern wollten: KPD,
NSDAP und SPD. Seine paradoxe Devise lautete:
„Eintritt in eine der drei Parteien, die uns interes-
sieren, mit dem Zweck, für die strikte Durchfüh-
rung des Sozialismus zu sorgen . . . Im Falle einer
waffenmäßigen Auseinandersetzung zwischen Na-
tionalsozialisten und Kommunisten haben sich alle
des Kampfes zu enthalten.“
Nachdem er sich der KPD zugewandt hatte,
wurde Koebel bei den roten Pfadfindern und
beim Arbeitersportverein „Fichte“ aktiv. Ge-
meinsam mit Harro Schulze-Boysen, dem späte-
ren Kopf der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“,
gab er die Zeitschrift Pläne heraus. Schulze-Boy-
sen wohnte zeitweilig auch in der „rotgrauen
Garnison“ in Berlin. Koebel blieb der „Vorden-
ker“ der dj. 1. 11; sie hatte sich nach seiner politi-
schen Wende gespalten und zählte nur noch 300
Mann.
Koebels nächste Wende folgte nach Hitlers Er-
nennung zum Kanzler. Im August 1933 richtete er
in seiner Zeitschrift Der Eisbrecher eine begei-
sterte Grußadresse an Reichsjugendführer Baldur
von Schirach: „Die Würfel sind gefallen. Die bün-
dischen Reste stehen teils in innerer . . . Opposi-
tion zum Reichsjugendführer. Wir nicht. Die Ab-
gedienten verteidigen ihre Grüppchen weiter. Die
lebendigen Kräfte strömen zum Jungvolk und in
die Hitlerjugend . . . Viele heulen heute - wir la-
chen.“ Doch Koebel beantragte vergeblich seine
Aufnahme in einen nationalsozialistischen Wehr-
verband.
Die neuen Machthaber betrachteten ihn mit
Mißtrauen, auch wenn Koebels nachträgliche Dar-
stellung, Schirach habe ihn als seinen „Todfeind“
betrachtet, zweifellos Ausdruck seiner Selbstüber-
schätzung war. Koebel, der mit einigen dj. 1. 11-
Gruppen weiterarbeitete, ermutigte nun seine An-
hänger, in NS-Formationen einzutreten, um dort
bündischen Geist am Leben zu erhalten: „Dj. 1. 1 1
ist groß genug, das größte Martyrium auf sich zu
nehmen.“



Die Gestapo verhaftete tusk Anfang 1934. Noch
in der ersten Nacht schnitt er sich die Puls-
adern auf, ein zweiter Selbstmordversuch folgte wenig
später. Koebel war der Gestapo weniger als
Kommunist suspekt denn als Jugendführer, der
seine Lehre „in verhängnisvoller Art an asiatische
Heldenideale“ anlehne, wie Sicherheitsdienstchef
Reinhard Ileydrich dem Oberreichsanwalt berich-
tete.
Koebel, stets auf der Suche nach Neuem, hatte
sich mittlerweile für Zen-Buddhismus begeistert.
In einem dj 1. 11-Somrnerlager 1933 auf Lan-
geoog wurden Zen-Studien getrieben; im Novem-
ber veröffentlichte Koebel eine „Heldenfibel“.
Später hat er die Heldenfibel, die mit ihrem
Männlichkeitswahn und ihrer Todesverachtung
den Nazis in nichts nachstand, als Anleitung zum
„antinazistischen Widerstand“ gedeutet: „Dem im
Propagandaministerium zentrierten Pseudo-Hero-
ismus mußte ein im Individuum verankerter He-
roismus entgegengestellt werden. Denn nur ein
solcher konnte zur rechten Stunde zu Befreiungs-
taten gegen Hitler führen.“
Zu Recht bezweifeln Kritiker, daß der damals
25jährige schon so weitsichtig und kalkuliert für
den Widerstand agitiert hat. Allerdings kommt in
der Heldenfibel ein elitär-romantisches Denken
zum Ausdruck, das sich dem totalitären Anspruch
des Nazistaates entzog - notfalls durch Selbst-
mord. Deshalb wohl sprach Heydrich von der „ab-
solut destruktiven Weltanschauung“ tusks.
Aus der Haft wurde er vor allem deshalb ent-
lassen, weil die Nazis ihn nicht zum Märtyrer ma-
chen wollten. Kursierten doch über ihn die aben-
teuerlichsten Gerüchte bis hin zu der Legende, er
habe sich, mit Pistolen bewaffnet, selber der Poli-
zei gestellt und dort in einer heroischen Geste die
Waffen in den Papierkorb geworfen.


Nach seiner Entlassung emigrierte Koebel über
Schweden nach England. Von dort aus hielt er
Kontakte zu Mitgliedern der dj. 1. 11 aufrecht, die
ihn zeitweise auch finanziell unterstützten. Der
Kopf einer Widerstandsgruppe wurde er nicht,
auch wenn die Nazis ihn dafür hielten.
tusks Heldenfibel wurde zum Kultbuch von Ju-
gendgruppen, die in den Widerstand hineinwuch-
sen. Was dem durchorganisierten öden Alltag der
Diktatur fehlte, das schien ihnen tusks Abenteuer-
romantik zu bieten. Spannender als streng regle-
mentierte Ausflüge der Hitlerjugend waren selbst-
bestimmte „wilde“ Fahrten nach dj. 1. 11-Manier,
bei denen die mittlerweile verbotene Kohte aufge-
schlagen, am Lagerfeuer aus tusks Schriften zitiert
und bündische Lieder gesungen wurden.

capital A

m Übergang von diesem „unpolitischen“
Jugendprotest zum aktiven Widerstand
waren dann allerdings Menschen betei-
ligt, mit denen die Jugendlichen unmit-
telbar verkehrten. Für die Widerstandsaktionen
Hans Scholls in München gab sein Hochschulleh-
rer Kurt Huber den Ausschlag und nicht Koebel,
mit dem Scholl keinen persönlichen Kontakt
hatte. Wohl aber war er während seiner Schüler-
zeit von tusks Gedankenwelt so angetan, daß er
1936 eine ungenehmigte Gruppenfahrt seiner von
ihm gegründeten dj. 1. 11-Horte nach Schwedisch-
Lappland leitete. Im Dezember 1937 wurde Scholl
sogar wegen bündischer Umtriebe in Stuttgart von
der Gestapo vorübergehend inhaftiert. Im Brief-
wechsel stand Koebel hingegen mit Helmut
Hirsch, der im Auftrag Otto Straßers 1936 einen
Anschlag auf das Nürnberger Parteitagsgelände
unternehmen sollte, vor der Tat aber verhaftet und
hingerichtet wurde. Koebel hatte ihm von Wi-
derstandsaktionen abgeraten.

FDJ-Chef Honecker
„Stürmische Jugendarbeit“: FDJ-Chef Honecker (M.) holte tusk nach Hause zurück



Ende des Jahres 1937 rissen Koebels Beziehun-
gen nach Deutschland ab. Die Nazis waren dazu
übergegangen, die Bündischen systematischer zu
verfolgen. Mehrere dj. 1. 11-Mitglieder kamen in
Haft, Koebel geriet auf die Fahndungsliste. Bün-
disch und dj. 1. 11 wurden jetzt synonym mit il-
legal.
Im Exil war tusk weitgehend isoliert, bis er 1944
in den Ausschuß der Freien Deutschen Be-
wegung, einer kommunistisch unterwanderten
Sammelorganisation der deutschen Emigranten,
kooptiert wurde. Sie vertrat er als Delegierter
und bürgerliches Aushängeschild bei der Weltju-
gendkonferenz 1945. FDJ-Chef Erich Honecker
schürte Koebels Hoffnungen auf eine neue Kar-
riere in der kommunistischen Jugendbewegung. Im
April 1947 schrieb er Koebel, der inzwischen
FDJ-Mitglied geworden war: „Es ist zu hoffen, daß
Du . . . in Kürze hier erscheinen kannst, um
. . . vor allen Dingen Deine Person in der so
nützlichen und stürmischen Jugendarbeit einzu-
setzen.“
Im Jahre 1948 kehrte tusk nach Deutschland
zurück. Die SED beförderte ihn jedoch schon bald
ins Abseits. Nach nur halbjähriger Tätigkeit als
Jugendredakteur beim Berliner Rundfunk wurde
ihm wegen „Unverträglichkeit“ gekündigt.
Koebel arbeitete von nun an als freier Schriftstel-
ler. 1951 wurde er wegen angeblicher Agententä-
tigkeit aus der SED ausgeschlossen.
In seiner exzentrischen Kreativität, seiner dün-
kelhaften Selbstüberschätzung und seiner politi-
schen Ahnungslosigkeit war Koebel alias tusk ein
typischer Vertreter der bündischen Jugend. Den
Rest seines Lebens verbrachte er damit, um seine
Anerkennung als linientreuer Kommunist zu
kämpfen - erfolglos. Nach seinem Tod am 31. Au-
gust 1955 wurde er gleich zweimal beerdigt: zu-
nächst in Ost-Berlin, dann im Stuttgarter Fami-
liengrab.


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